Feingeister und Zäsuren
veröffentlicht am 07.Januar 2022 in der Thüringer Allgemeinen
(erstellt von Jakob Maschke)
Im Dezember 2021 wurde der SC Medizin Erfurt 70 Jahre alt.
Eine Geschichte von Chirurgen, Erfolgen und einem massiven Umbruch.
Wenn Egbert Schwarz mal nicht als Chirurg und Professor im Einsatz war, traf man ihn nicht selten in Turnschuhen an. Der angesehene Mediziner war ein Feingeist, ein begeisterter Musiker, aber auch Sportler in der Betriebssportgemeinschaft des Städtischen Krankenhauses, dem heutigen Helios-Klinikum. Er war einer der ersten Initiatoren der BSG Medizin Erfurt, die am 2. Dezember 1951 – um im Fach zubleiben – das Licht der Welt erblickte. Zu Beginn waren es 45 Mitglieder. Vier Jahre später, kurz nachdem die Medizinische Akademie Erfurt gegründet und zum Träger der BSG wurde, schon 345.
Da die Betriebssportgemeinschaft der Mediziner in den Folgejahren immer weiter wuchs – Anfang der sechziger Jahre waren es bereits 10 Sektionen – brauchte sie neue Sportanlagen. Gesagt, getan: Die Hauptsportanlage entstand am Petersberg, wo sie für etwa 30 Jahre die Heimat der Hochschulsportgemeinschaft (HSG/seit1966) beziehungsweise des Sportclubs (SC/seit 1994) blieb, ehe sie 1996 dem an selber Stelle errichteten Bundesarbeitsgericht weichen musste. Auch eine Tennis-,Rollhockey-(ebenfalls am Petersberg) und Pferdesportanlage entstanden.
Am erfolgreichsten entwickelten sich die Rollhockeyspieler. Nach ihrem Startschuss, der Einweihung ihres neuen Spielfelds 1965 mit dem 3:3 gegen den Königlichen Rollclub Antwerpen, prägten sie die Szenerie in der DDR entscheidend mit. Gleich drei mal gewannen die Erfurter Mediziner die DDR Liga, der Nachwuchs sicherte sich 1981 und 1982 den Jugendmeistertitel. Der Bekannteste aus der Sektion war der Torwart Lothar Knoll, der es bis in die DDR-Auswahl schaffte und 2011 einen Verdienstorden der Bundesrepublik erhielt.
Aber auch die anderen Sektionen konnten sich sehen lassen. Allen voran der Nachwuchs im Judo, im Schwimmen und im Faustball feierten zu DDR-Zeiten eine Reihe beachtlicher Erfolge . 1986, zu ihrem 35-jährigen Bestehen , hatte die HSG Medizin Erfurt sage und schreibe 2500 Mitglieder in 17 Sektionen unter sich versammelt – damit wäre sie heute der mit Abstand größte Erfurter Sportverein.
Doch dann kam die Wiedervereinigung. Für wohl keinen anderen Sportverein brachte sie einen derart massiven Umbruch mit sich wie für die Mediziner. Die Medizinische Hochschule wurde geschlossen und entfiel als Träger, womit auch der gesamte Studentensport, die Leichtathletik und bis 1993 wegen finanzieller Zwänge weitere, kostenintensive Sektionen wie Tennis oder Pferdesport wegbrachen. “Innerhalb kurzer Zeit waren es fast 2000 Mitglieder weniger”, sagte Wolfram Dietz, der nach Jutta Deutschmann (1951-1956) und Hannes Neubert (1956-1994) als dritter Vereinsvorsitzender von 1994 bis 2012 amtierte. Kurzzeitig wurde ernsthaft darüber nachgedacht, den Verein (1993 als gemeinnützig eingetragen) aufzulösen.
Doch mit Dietz an der Spitze ging es nach der Zäsur mit dem 1994 in SC Medizin umbenannten Verein, der seit 1997 seinen Hauptstandort neben der Radrennbahn am Nordpark hat, als reinem Freizeitsportverein weiter. Mit gelegentlichen Ausreißern nach oben, die vor allem von den zwei Abteilungen kommen, die den SC Medizin heute am meisten mit Leben füllen: Judo und den 1997 gegründeten “Kojoten”, den Inline- und Eishockeyspielern.
Die Judokas, die aktuell fast die Hälfte der 220 Vereinsmitglieder stellen, betreiben eine aktive Nachwuchsarbeit und Ausbildung von Übungsleitern und Kampfrichtern und erringen immer wieder Landesmeistertitel.
Die “Kojoten” spielten bis 2002 – dann aus Kostengründen nicht mehr – sogar in der Inlinehockey-Bundesliga und wurden zweimal Eishockey-Landesmeister.
Dennoch ist es für den SC Medizin Erfurt mit seinen sieben Abteilungen nicht einfach, fortzubestehen. Heiko Schmidt, der das Amt des Vorsitzenden vor zehn Jahren von Wolfram Dietz übernahm, beschreibt die Schwierigkeiten: “Wir haben die absurde Situation, dass wir finanziell und strukturell sehr gut aufgestellt sind, uns aber dennoch die Mitglieder ausgehen. Ein Verein muss heute so attraktiv sein wie ein Fitnessstudio, darf aber nur soviel kosten wie ein Verein.”
Sein 70-jähriges Jubiläum konnte der SC Medizin Erfurt coronabedingt nicht feiern. Der Verein plant aber in diesem Jahr ein Sommerfest. Daran hätte auch der 1966 verstorbene Egbert Schwarz, der Pionier der Betriebssportgemeinschaft der Erfurter Mediziner, sicher gern teilgenommen. Und dafür das Skalpell gegen die Turnschuhe getauscht.